Bundesumweltministerin Barbara Hendricks hat am Freitag
ein Gesamtkonzept zur Rückführung der radioaktiven Abfälle aus der
Wiederaufarbeitung in Frankreich und England vorgelegt. Danach sollen
die 26 Castor‑Behälter auf
insgesamt vier Zwischenlager in Hessen, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Bayern verteilt werden.
Zugleich verständigte sich Hendricks nach eigenem Bekunden mit den deutschen Atomkraftwerksbetreibern auf Eckpunkte zum weiteren Vorgehen. Darin begrüßen demnach die Unternehmen die Vorlage eines Konzeptes durch das BMUB und sagen eine eingehende Prüfung zu. Dabei wollen sie auch die Rücknahme sämtlicher Gerichtsverfahren prüfen, die sie gegen das Verbot weiterer Castor‑Transporte nach Gorleben angestrengt hatten. Zunächst sollen sämtliche Verfahren ruhend gestellt werden.
Mit der Vorlage des Konzepts ist allerdings noch keine Festlegung der Standorte getroffen worden. "Mein Konzept soll den Atomkonzernen als Richtschnur dienen, wie sie ihre gesetzlichen Verpflichtungen zur Rückführung und Aufbewahrung der verglasten radioaktiven Abfälle aus der Auslandswiederaufarbeitung erfüllen können", erklärte Hendricks nach einem Gespräch mit den Spitzen der Unternehmen in Berlin. "Es ist jetzt Sache der EVU, Entscheidungen über die Antragstellung für konkrete Standorte zu treffen." Die erforderlichen Genehmigungsverfahren bezüglich Transport und Einlagerung werden nicht von den Ländern, sondern vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) beschieden.
Nach dem Konzept des BMUB sollen im Standortzwischenlager Philippsburg in Baden‑Württemberg die fünf Behälter mit verglasten mittelradioaktiven Abfällen aus der Wiederaufarbeitung in Frankreich aufbewahrt werden. Auf die Zwischenlager an den Standorten Biblis (Hessen), Brokdorf (Schleswig‑Holstein) und Isar (Bayern) sollen die insgesamt 21 Castoren mit verglasten hochradioaktiven Abfällen aus der Wiederaufarbeitung in Sellafield verteilt werden.
Die Rückführung erfolgt entsprechend der Vertragslage der deutschen EVU mit den ausländischen Wiederaufarbeitungsunternehmen sukzessive, beginnend mit den fünf Behältern aus Frankreich im Jahr 2017 und danach die weiteren Tranchen ab 2018 bis 2020 aus Großbritannien. Es besteht Einvernehmen, dass die genaue Zahl der auf die einzelnen Zwischenlager entfallenden Behälter wie auch die endgültige Festlegung der Standorte durch die EVU noch offen ist. Die weiteren Festlegungen erfolgen dann in einer gemeinsam zu bildenden Arbeitsgruppe.
Hendricks sagte, ihre Wahl sei neben Philippsburg
auf Biblis, Brokdorf und Isar gefallen, weil diese Standorte sowohl
unter technischen, rechtlichen und verfahrensbezogenen Aspekten als auch
aus politischer Sicht am besten geeignet seien. "Eine zeitlich
gestaffelte und fristgerechte Rückführung der Castoren durch die
Energieversorgungunternehmen wird damit ermöglicht." Zudem sei es ein
Gebot der Fairness, die Lasten der Atomenergienutzung in einem
bundesweit ausgewogenen Verhältnis unter den Bundesländern zu verteilen.
Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung lehnt Bayern die Zwischenlagerung von Atommüll weiterhin vehement ab. Das Bundesland droht demnach sogar mit dem Scheitern der Energiewende. Bundesministerin Barbara Hendricks soll nach dem Medienbericht aber geäußert haben, dass die Zustimmung der Länder nicht erforderlich sei.
REAKTIONEN
Nach Ansicht der Anti-Atom-Initiative ausgestrahlt! ist mit dem Hendricks-Plan der Castor-Streit längst nicht gelöst. "Technische, politische und juristische Fragen bleiben weiter ungeklärt," so die Initiative in einem Statement. "In den betroffenen Bundesländern und Standorten ist noch vieles ungeklärt."
So sind nach Ansicht von ausgestrahlt! in dem für Schleswig-Holstein anvisierten Zwischenlager Brokdorf nur noch wenige Stellplätze frei, die von der dortigen Landesregierung für Castor-Behälter aus dem nahe gelegenen Brunsbüttel vorgesehen sind. Denn das Zwischenlager Brunsbüttel hat nach Urteil des Bundesverwaltungsgerichts keine Betriebsgenehmigung mehr. Im Reaktorkern des AKW lagern aber noch viele Brennelemente, die in Castor-Behälter verpackt werden und irgendwo gelagert werden müssen. In Brokdorf kann nur der Müll aus Sellafield oder der Müll aus Brunsbüttel gelagert werden. Für beide ist kein Platz.
"Es kann bei der Frage des Atommülls, weder bei der Zwischenlagerung noch bei der Endlagerung, eine ‚Lex Bayern‘ geben. Die CSU tut sich einmal mehr als Regionalpartei hervor, die sich der nationaler Verantwortung beim Thema Atommüll entziehen möchte.“
„Energiewende blockieren und Atommüll auf die anderen Bundesländer abschieben – Bayern und die CSU fallen viel zu oft durch verantwortungslosen Umgang mit gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen auf. Dieses Verhalten taugt vielleicht für den Stammtisch, aber löst kein einziges Problem.“
"Wir
begrüßen die Initiative von Barbara Hendricks ausdrücklich, die
Castor-Frage muss endlich beantwortet werden. Wir fordern von der
Bundesregierung und den Atomkonzernen allerdings auch Transparenz in
Bezug auf die Kostenfrage. Wir wollen wissen, wer die Kosten tragen
soll."
Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI) wertet das Resultat als schlechtes Omen für die Bereitschaft der Bundesländer, auch die Suche nach einem Endlager zuzulassen , da es zwei Jahre bis zu dieser Regelung gedauert habe. "Unsere Beharrlichkeit lohnt. Die Drohung Bayerns, sogar die Energiewende wegen einiger Castoren kippen zu lassen, ist mehr als peinlich. Doch es geht in erster Linie nicht um den Verzicht auf die Castor-Transporte, es geht um die Frage, warum der ungeeignete Salzstock Gorleben als Endlager im Rennen bleibt, wir werden uns an den Protesten an anderen Orten beteiligen, denn die Atommüllprobleme werden nur verschoben, örtlich und zeitlich", sagte BI-Sprecher Wolfgang Ehmke.
Die Niedersächsischen Grünen haben ebenfalls Bedenken, ob der Hendricks-Plan funktionieren wird. Miriam Staudte, energiepolitische Sprecherin der Landesgrünen: "Die Staatsregierung in München ist weiterhin grundsätzlich gegen Castor-Transporte nach Bayern. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier verknüpft die Annahmebereitschaft für Biblis mit der Zusage des Bundes, etwaige Schadenersatzansprüche von RWE aufgrund desFukushima-Moratoriums 2011 zu übernehmen.Und der CDU-Bürgermeister von Philippsburg in Baden-Württemberg hat bereits massive Protesteangekündigt. Hendricks ist es in den letzten zwei Jahren nicht gelungen,die Bundesländer zu überzeugen. Mir erschließt sich nicht, wie dies mitdem neuen Plan gelingen sollte." Unklar bleibt für Staudte auch, ob an den von Hendricks anvisierten Standorten heiße Zellen zur Reparatur undichter Castor-Behälter gebaut werden und wer das alles bezahlt. Bisher war nur bekannt, dass sich die AKW-Betreiber weigern, zusätzliche Kosten zu übernehmen.
"Zudem ist der Plan juristisch heikel," so Staudte weiter. "Nachdem das Bundesverwaltungsgericht dem Zwischenlager Brunsbüttel die Betriebserlaubnis wegen fehlender Stabilität entzogen hat, stehen auch die Genehmigungen aller anderen Castor-Hallen auf tönernen Füßen.
Der Niedersächsische Umweltminister Stefan Wenzel dagegen begrüßt den Vorschlag der Bundesumweltministerin. „Das war
überfällig. Die Ministerin löst ein Versprechen ihres
Vorgängers ein. Damit könnte es ein Stück mehr Gerechtigkeit bei der
Lastenverteilung in der Atommülllagerung in Deutschland geben“, sagte
der Minister am Freitag in Hannover.